In den vergangenen Wochen spitze sich die Lage in der Türkei immer weiter zu. Die türkische Lira fiel innerhalb eines Monats um mehr als 40% gegenüber dem US-Dollar. Die Türkei droht damit das prominenteste Opfer einer bevorstehenden Hyperinflation zu werden. Präsident Erdogan hält trotzdem weiterhin an seinem Kurs fest.

Die Wirtschaft in der Türkei

Die Türkei hat mit ihrem Handelsbilanzdefizit ein großes wirtschaftliches Problem. Seit Jahren importiert die Türkei mehr als sie exportiert. Das Handelsbilanzdefizit betrug im Jahr 2020 -5,1% des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das entspricht einem der größten Handelsbilanzdefizite auf der gesamten Welt. Die Wirtschaft verlässt sich stark auf ausländische Kapitalzuflüsse, um den Überschuss der Importe aus dem privaten Sektor zu finanzieren. Dieses Kapital wird von den türkischen Banken dann den Unternehmen zur Verfügung gestellt. Das Problem hier: der Bankensektor verschuldet sich durch den Kapitalzufluss aus dem Ausland in einer Fremdwährung.

Das Handelsbilanzdefizit der Türkei. Quelle: Trading Economics

Die gesamte Verschuldung der Türkei beträgt eigentlich "nur" 40% des Bruttoinlandproduktes. Allerdings ist die Türkei vor allem in Fremdwährungen verschuldet. Ein Staat kann niemals in seiner eigenen Währung insolvent gehen. Dafür sorgen die Zentralbanken. Sobald aber die Schulden in einer Fremdwährung wie dem US-Dollar denominiert werden, beginnt ein gefährliches Spiel.

Die Türkei muss jedes Jahr 200 Milliarden US-Dollar aufbringen, um ihr hohes Handelsbilanzdefizit begleichen zu können. Gleichzeitig besitzt die Türkei aber nur 85 Milliarden US-Dollar an Bruttodevisenreserven. Es herrscht somit eine ziemliche Dollarknappheit in der Türkei. Unternehmen werden gezwungen ihre Lira gegen Dollar zu verkaufen, um ihre Schuldenlast tragen zu können. Das übt einen permanenten Verkaufsdruck auf die Lira aus. Der Rückgang des Wertes der Lira erhöht damit gleichzeitig die Schuldenlast. Schließlich müssen die Schulden in Fremdwährungen und nicht mit der Lira zurückbezahlt werden.

Die Türkei stabilisierte sich

Das Handelsbilanzdefizit sorgt für eine permanent schwierige wirtschaftliche Lage. Im Jahr 2018 rutsche die Türkei, ausgelöst durch den Handelsstreit mit den USA, in eine Wirtschaftskrise. Die Lira wertet in 12 Wochen um 38% ab. Daraufhin hob die Zentralbank den Leitzins von 8% stufenweise auf 24% an.

Diese Zinserhöhung sorgte für einen Rückgang der Wirtschaftsleistung. Im Jahr 2018 fiel das BIP daraufhin um 3%. Allerdings konnte so der Verfall der türkischen Lira aufgehalten werden. In den letzten Jahren hielt sich die Lira daher relativ stabil gegenüber dem US-Dollar. Ab Mitte 2021 änderte sich die Situation jedoch wieder. Vor allem eine Person rückt hier in den Vordergrund. Präsident Erdogan.

Die Wachstumsrate des BIP zeigt den Einbruch der türkischen Wirtschaft 2018.
Quelle: Trading Economics

Die Rolle von Erdogan

Präsident Erdogan wählt einen eigenen Weg. Er ist der Ansicht, dass Zinssenkungen die Lösung für das Lira-Problem sind. In den letzten Tagen senkte die türkische Zentralbank den Leitzins deswegen stufenweise auf 14%. Aus ökonomischer Sicht ist dieser Schritt jedoch umstritten. Niedrigere Zinsen senken die Kosten für neues Kapital und heizen damit die Wirtschaft an. Die Preise für Waren und Dienstleistungen steigen aufgrund wachsender Nachfrage. Das ist aber eigentlich das Gegenteil von dem, was der Türkei hilft. Denn: eine fallende Lira sorgt schon für steigende Preise. Erdogan gießt Öl in das Feuer.

Ein Erklärungsversuch für die Entscheidung von Erdogan könnte seine Vorstellung von Zinsen sein. Erdogan sieht in den Zinsen "den Vater und die Mutter allen Übels". Erdogan bezieht sich hier auf die Schriften des Islams. Das islamische Recht verbietet die Erhebung und Auszahlung von Zinsen. Es ist aber fraglich, ob das der wirkliche Grund für die Zinspolitik vom Präsidenten ist.

Erdogan hat damit begonnen, Positionen bei der Notenbank und im Wirtschaftsbereich mit ihm treu untergebenen Leuten zu besetzen. So wurde nach der Wahl 2018 sein Schwiegersohn Berat Albayrak zum Wirtschaftschef seiner Regierung. Als im Oktober drei Notenbänker gegen die Zinssenkungen stimmten, wurden diese persönlich vom Präsidenten entlassen. Es scheint, als wäre Erdogan Loyalität wichtiger als Kompetenz.

Vergleich der türkischen Zinspolitik 2018 zu 2021. Quelle: Trading Economics

Droht ein Kollaps der Lira?

Wird die Türkei somit das nächste prominente Opfer einer Hyperinflation? Aktuell ist diese Frage noch nicht zu beantworten. Es zeichnen sich aber Tendenzen ab, die darauf hindeuten, dass die Situation schlimmer ist als im Jahr 2018.

Als Erstes ist die offizielle Inflationsrate zu nennen. Diese erreichte im November dieses Jahres 21%. Im Sommer 2018 schoss die Inflation auf 26% nach oben. Wir erinnern uns: Zu dieser Zeit hob die türkische Zentralbank den Leitzins auf 24% an. Der reale Zinssatz (Leitzins abzgl. Inflation) betrug somit -2%. In Zeiten der Nullzinspolitik auch in den westlichen Ländern kein unüblicher Wert.

Erdogan zieht dieses Mal aber einen anderen Ansatz vor. Die Zinssenkungen haben zwei ineinander greifende Effekte: Niedrige Zinsen erhöhen die Inflation und senken damit den realen Zinssatz. Dieser beträgt aktuell -7%. Erdogan macht nicht den Eindruck, dass er von seiner Politik abrückt. Es ist daher sogar mit einer Verschlimmerung zu rechnen.

Die Inflation in der Türkei. Quelle: Trading Economics

Ein weiterer beunruhigender Faktor ist der Aktienmarkt in der Türkei. Der ISE 100, der größte türkische Aktienindex, stieg innerhalb von vier Wochen auf 2400 Punkte und erreichte damit ein Allzeithoch. Kurz darauf stürzte er wieder auf 1900 Punkte ab. Eine Flucht in die Sachwerte droht.

Große Volatilität an den Finanzmärkten zeugt von großen wirtschaftlichen Ungewissheiten. Bei einer Hyperinflation würden die Preise für Aktien im Gleichschritt in die Höhe schießen. Die Türkei ist von diesem Szenario zwar noch entfernt, allerdings sollte die zunehmende Volatilität an den Finanzmärkten vorsichtig beobachtet werden. Erst letzten Freitag musste der Handel ausgesetzt werden. Die Unsicherheit ist groß.

Der ISE 100. Quelle: Tradingview

Die Inflationsangst geht um

Mit der fortschreitenden Entwertung der Lira steigt auch die Angst in der Bevölkerung. Während Erdogan proklamiert, dass er den Krieg gegen die Inflation gewinnen wird, sieht die Realität anders aus.

Die türkische Bevölkerung hat Angst um ihre Ersparnisse. Denn während die Lira pausenlos entwertet, geben die Türken ihr Geld aus. Denn wieso soll ich meine türkische Lira halten, die innerhalb von einem Monat um 40% entwertet? Ab hier wird es gefährlich: Menschen geben vermehrt ihr Geld aus, weil sie wissen, dass ihre Währung entwertet.

Dieses massenpsychologische Phänomen ist in Ländern zu beobachten, wo die Bevölkerung vollständig das Vertrauen in ihre Währung und die Politik verloren hat. Die Hyperinflation wird zur Realität. Dem Präsidenten Erdogan steht eine schwierige Aufgabe bevor. Er muss seine Bevölkerung weiterhin hinter sich bringen. Das versucht er mit der Benutzung von Kriegsrhetorik wie z.B. der "türkische wirtschaftliche Unabhängigkeitskampf". Aber ob das hilft, ist fraglich. Die Bevölkerung ist erschöpft.

Eine einmalige Chance für Bitcoin?

Während Erdogan seinen Krieg gegen Bitcoin startet, zeigt Bitcoin, was es wirklich kann: Unabhängigkeit. Die Ursache für die Krise der Lira liegt im politischen System. Erdogan hat die gesamte Kontrolle über die Lira. Wie oben bereits erwähnt, werden Entscheidungsträger nicht nach ihrer Kompetenz, sondern ihrer Loyalität zu Erdogan ausgewählt.

Bitcoin auf der anderen Seite ist unpolitisch. Es ist ein Stück Programmcode, das von jedem Menschen genutzt werden kann. Es gibt bei Bitcoin niemanden, der von einer zentralen Instanz ersetzt werden kann, nur weil er eine andere Ansicht hat. Das einzige was zählt, sind die Netzwerkregeln. Alle Teilnehmer des Netzwerkes müssen sich danach richten und dabei ist es egal wie einflussreich die Person ist.

Bitcoin löst das Problem der Geldmengenerweiterung. Denn auch die Türkei konnte der Versuchung nicht widerstehen und benutzte das Werkzeug der Inflation. Seit 2018 wurde die M2 Geldmenge um mehr als das Doppelte auf 4,5 Milliarden Lira erhöht. Die aktuelle Währungskrise ist somit kein überraschendes Phänomen, sondern es hat sich angebahnt. Der aktuelle Kurs von Recep Tayyip Erdogan lässt vermuten, dass auch in den nächsten Monaten weiterhin die Geldmenge ausgeweitet wird.

Inwiefern die Währungskrise die Adoption von Bitcoin in der Türkei weiter fördern wird, muss beobachtet werden. Wenn die heimische Währung innerhalb von einem Monat um 40% gegenüber dem US-Dollar abwertet, ist man aber im Regelfall alternativen Währungssystemen gegenüber aufgeschlossener. Auch die anbahnende Flucht in die Vermögenswerte dürfte sich positiv auf die Verbreitung von Bitcoin in der Türkei auswirken.

M2 Geldmenge der Türkei. Quelle: Trading Economics

Fazit

Die aktuelle Lage in der Türkei ist besorgniserregend. Strukturelle wirtschaftliche Ungleichheiten gepaart mit einem autoritären Führer könnten der türkischen Lira den Todesstoß versetzten. Man kann nur hoffen, dass die gesellschaftlichen Konsequenzen sich im Rahmen halten. Bitcoin ist eine langfristige Lösung für die Währungsprobleme des Landes. Aktuell erreicht der Bitcoin in der türkischen Nationalwährung ein Allzeithoch von 830.000 Lira. Aber der genaue Preis dürfte dort nur noch die wenigsten interessieren. Es geht für die Menschen eher darum der Lira zu entkommen und das eigne Hab und Gut irgendwie zu sichern...