In der heute Nacht erschienenen HBO-Dokumentation Money Electric: The Bitcoin Mystery steht eine – nennen wir es mal – “gewagte These” im Raum: Peter Todd, ein bekannter Entwickler aus der Bitcoin-Szene, soll laut dem Filmemacher Cullen Hoback angeblich der mysteriöse Schöpfer von Bitcoin, Satoshi Nakamoto, sein. Die Dokumentation, die über etwas mehr als eineinhalb Stunden den Spuren der anonymen Bitcoin-Gründerfigur folgt, beleuchtet zahlreiche Theorien und versucht, mit vermeintlichen Indizien eine Verbindung zwischen Todd und Nakamoto zu konstruieren. Die Filmemacher setzen dabei auf eine Mischung aus Archivmaterial, Interviews und spekulativen Rückschlüssen, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu fesseln. Len Sassaman, den viele Leute im Vorfeld als den am wahrscheinlichsten präsentierten Kandidaten ansahen, fand hingegen gar keine Erwähnung.

Doch während die Dokumentation versucht, Spannung aufzubauen und die Geheimnisse rund um Satoshi Nakamoto zu lüften, stoßen viele der präsentierten „Beweise“ auf scharfe Kritik. Die Doku stützt sich leider mehr auf Sensationsjournalismus als auf fundierte Recherche.

Ist Peter Todd Satoshi?

Die Dokumentation stützt sich auf eine Reihe vermeintlicher Indizien, die den damals 22-jährigen Peter Todd als Satoshi Nakamoto identifizieren sollen, doch die präsentierten Beweise erscheinen vielen Beobachtern äußerst dünn und definitiv unzureichend. Eines der zentralen Argumente, das in der Dokumentation vorgebracht wird, bezieht sich auf einen Bitcointalk-Thread aus dem Jahr 2010. Damals antwortete Todd auf eine Nachricht von Satoshi Nakamoto. Die Filmemacher suggerieren, Todd habe möglicherweise versehentlich auf diese Nachricht geantwortet, während er dachte, er sei unter „seinem“ Pseudonym Satoshi eingeloggt. Eine wohl etwas überzogene Interpretation, da es sich schließlich um eine ganz normale sachliche Antwort handelt, die Todd in einem offenen Forum abgegeben hat.

Das ist offensichtlich lächerlich! Es ist nur ein Beispiel dafür, wie Peter Todd auf Satoshi mit einem schnippischen, pedantischen und genauen Kommentar antwortet. [...] Das ist genau die Art von Kommentar, die Peter heute noch machen würde. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass dies Satoshi war.
BitMex Research

Ein weiteres angebliches Indiz der Dokumentation ist die zeitliche Nähe der Inaktivität der Accounts von Satoshi und Todd kurz nach diesem Vorfall. Die Dokumentation deutet dies als bewusstes Untertauchen Todds, um seine Identität als Bitcoin-Erfinder zu verbergen. Doch auch diese Interpretation basiert auf reinen Spekulationen und ignoriert die Tatsache, dass auch zahlreiche andere Entwickler Phasen der Inaktivität auf Bitcointalk hatten. Außerdem wäre es doch ziemlich dumm, zeitgleich beide Accounts nicht mehr zu benutzen, wenn man eigentlich von sich als Satoshi ablenken wollen würde, oder?

Ferner wird in der Dokumentation auf Todds späteres Engagement bei der Entwicklung von „Replace-by-Fee“ verwiesen, einem technischen Konzept, das Satoshi in alten Forenbeiträgen angedeutet hat. Der Filmemacher Hoback stellt dies als direkten Beweis für eine Art Kontinuität zwischen den Ideen Satoshis und Todds dar. Dass diese Interpretation die Entwicklungsgeschichte des Bitcoin-Netzwerks stark vereinfacht und ignoriert, dass zahlreiche Entwickler unabhängig ähnliche Konzepte verfolgt haben, wird in der Doku jedoch nicht thematisiert.

Der Dokumentarfilm wirft Todd – aufgrund einer Aussage des als “Bitcoin Judas” bekannten “Roger Ver” – vor, das Pseudonym „John Dillion“ benutzt zu haben, um heimlich an der Weiterentwicklung von Bitcoin zu arbeiten. Hier wird von den Filmemachern wild spekuliert, dass Todd in einer geheimen Operation mit Regierungsstellen zusammengearbeitet habe, um Bitcoin für seine eigenen Zwecke zu steuern. Auch diese „John Dillion“-E-Mails, erweisen sich bei genauerer Betrachtung als wenig aussagekräftig oder gar als totale Spinnerei. Auch das Team von BitMEX Research merkt in einem Twitter-Thread an, dass die angeblich geleakten E-Mails keinen direkten Bezug zu Satoshi herstellen und der Filmemacher dabei wichtige kontextuelle Informationen außen vor lässt. Die gesamte Darstellung erinnert an wilde Verschwörungstheorien und ist äußerst unglaubwürdig.

Der Filmemacher beschuldigt Peter Todd, John Dillion erfunden zu haben und die E-Mails mit Herrn Dillion gefälscht zu haben, die durchgesickert sind. Unserer Ansicht nach ist dies eine seltsame Anschuldigung, denn selbst wenn sie stimmt, ist sie weitgehend belanglos. Todd streitet die Anschuldigung ab.
BitMex Research

Danach beginnen die Beweise wirklich an Qualität zu verlieren (und das will etwas heißen, denn die vorherigen Beweise waren schon nicht gut). Cullen versucht, die John-Dillion-E-Mails als Beweis für irgendetwas zu verwenden, aber ich bin mir wirklich nicht sicher, wie irgendetwas davon damit zusammenhängt. Er geht auf eine verrückte Verschwörungstheorie ein, in der er glaubt, dass Peter Todd die John-Dillion-Identität erfunden hat, um die Spuren seines alten Forumsbeitrags zu verwischen und es ihm leichter zu machen, für RBF einzutreten. Das Niveau, das er hier erreicht, ist vergleichbar mit dem von QAnon (was ziemlich ironisch ist, wenn man weiß, worum es in Cullens vorheriger Dokumentation ging).
Pledditor, bekannter Bitcoin-Influencer

Insgesamt erscheint die gesamte Argumentation der Dokumentation als ein im Nachhinein missglückter Versuch, lose Fakten zu einer spannenden, aber haltlosen Geschichte zu verknüpfen. Peter Todd selbst ist den Vorwürfen stets mit Ironie und Humor begegnet. In der Dokumentation wird mehrfach eine Szene gezeigt, in der er sich selbst als Satoshi bezeichnet – offensichtlich sarkastisch. Diese Kommentare wurden jedoch von den Filmemachern aus dem Kontext gerissen und als weiterer „Beweis“ präsentiert, was die Glaubwürdigkeit der gesamten Produktion weiter untergräbt. Todd hat inzwischen mehrfach klar und deutlich betont, dass er nicht Satoshi ist.

Fazit: Ein Fadenkreuz ohne Beweise

Hobacks Dokumentation ist ein Paradebeispiel dafür, wie Spekulationen und sensationsgetriebene Narrative die Verantwortung der journalistischen Recherche überschatten können. Durch die Platzierung von Peter Todd als vermeintlichen Schöpfer von Bitcoin ohne solide Beweislage untergräbt der Filmemacher zum einen das Vertrauen in seine eigene Doku. Schlimmer ist jedoch, dass dadurch auch gravierende persönliche Risiken für Todd geschaffen werden. Die Identität von Satoshi Nakamoto ist schließlich eng mit enormen finanziellen Interessen und Sicherheitsrisiken verknüpft. Indem die HBO-Dokumentation Todd ohne solide Grundlage als möglichen Bitcoin-Erfinder präsentiert, riskiert sie, ihn zur Zielscheibe für verschiedenste Akteure zu machen – von neugierigen Journalisten bis hin zu Kriminellen, die sich finanzielle Vorteile oder Erpressungsmöglichkeiten erhoffen könnten.

Aber auch wir wollen in diesem Zusammenhang eine Spekulation eröffnen: War “Electric Money” vielleicht eher ein Vorwand für “Easy Money”? Denn die Doku wirft nicht nur Fragen zur Glaubwürdigkeit ihrer Inhalte auf, sondern auch zu möglichen finanziellen Motiven hinter den Kulissen. Bereits im Vorfeld der Ausstrahlung wurden auf Plattformen wie Polymarket Wetten darauf abgeschlossen, welche Identität in der Doku als Satoshi Nakamoto enthüllt würde. Für Insider, die frühzeitig über die Inhalte der Dokumentation Bescheid wussten, wäre es ein Leichtes gewesen, diese Wettmärkte zu nutzen, um daraus Kapital zu schlagen. Indem sie gezielt Informationen streuten oder auf den Ausgang der Spekulationen setzten, hätten sie im Verborgenen erhebliche Summen verdienen können, während die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den vermeintlichen Enthüllungen lag. Diese Möglichkeit wirft ein weiteres fragwürdiges Licht auf die Veröffentlichung und lässt die Doku nicht nur als journalistisch zweifelhaft erscheinen, sondern auch als potenzielles Instrument, um im Hintergrund „Easy Money“ zu machen. Ob dies tatsächlich geschehen ist, bleibt Spekulation, doch die Struktur der Wettmärkte und die mediale Inszenierung bieten zumindest den Raum für solche Überlegungen.

Letztlich stellt sich natürlich die Frage, ob es überhaupt von Bedeutung ist, wer wirklich hinter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto steckt. War es Todd, war es jemand anderes? Mit Sicherheit können wir es nicht sagen. Aber seit mehr als einem Jahrzehnt hat Bitcoin als dezentrales Netzwerk bewiesen, dass es unabhängig von einer zentralen Figur oder einem einzelnen Erfinder funktioniert. Die Idee von Bitcoin ist längst größer als ihre Ursprünge. Satoshi Nakamoto hat zwar die Grundlagen gelegt, aber die Entwicklung und das Wachstum des Netzwerks beruhen auf den Beiträgen vieler Entwickler und einer globalen Community. Selbst wenn eines Tages die Identität von Satoshi aufgedeckt werden sollte, würde dies nichts an der Funktionsweise, der Philosophie oder dem Wert von Bitcoin ändern. Am Ende der Dokumentation bringt es Todd im Gespräch mit dem Filmemacher Hoback ziemlich gut auf den Punkt und er warnte diesen sogar:

Ich warne dich. Wenn du solche Behauptungen öffentlich in einer Dokumentation anbringen willst […] werden viele Bitcoiner tatsächlich glücklich darüber sein, weil es ein exzellentes Beispiel dafür ist, wie Journalisten mal wieder die Kernaspekte übersehen, und das ist ziemlich lustig. Es geht darum, Bitcoin zu einer globalen Währung zu machen und Menschen wie du lassen sich von völligem Schwachsinn ablenken.
Peter Todd zu Cullen Hoback

Ironischerweise hätte die Dokumentation ohne die spekulativen Anschuldigungen gegen Peter Todd eine deutlich stärkere Wirkung erzielen können. Denn sie bietet einige interessante Einblicke in die Geschichte von Bitcoin sowie die Herausforderungen, die das Netzwerk in den vergangenen Jahren bewältigen musste. Die Gespräche mit Experten und die Rückblicke auf wichtige Momente der Bitcoin-Entwicklung vermitteln eine interessante Perspektive. Doch indem sie den Anspruch erhebt, den Erfinder von Bitcoin „enttarnt“ zu haben, lenkt die Dokumentation von ihren eigentlichen Stärken ab und verliert an Glaubwürdigkeit. Statt einer fundierten Analyse bietet sie so leider eher fragwürdige Unterhaltung.

Alles in allem ist die Dokumentation aufgrund dieser unnötigen Spekulationen nicht wirklich empfehlenswert. Sie hätte das Potenzial gehabt, eine sehenswerte Reise durch die Geschichte von Bitcoin zu sein – doch so bleibt ein schaler Nachgeschmack zurück.

René

Über den Autor: René

René ist der Chefredakteur bei Blocktrainer.de und Mitarbeiter der ersten Stunde. In den vielen Jahren, in denen er im Bitcoin-Kosmos unterwegs ist, hat er sich ein breit gefächertes Know-how in sämtlichen Bereichen rund um die bedeutendste Kryptowährung angeeignet.

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